Der etwas andere und trotzdem Liebesbrief (?)

27. Februar 2019, FAZ

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28. September 2020, Polestar-Club

Lieber Polestar,

wie soll ich es sagen? Zwischen uns war es Liebe auf den ersten Blick. Als Du bei der Präsentation das erste Mal auf die Bühne gefahren bist, war es um mich geschehen. Schon lange hatte ich mit der E-Mobilität geliebäugelt und doch nicht den Mut gefunden, mich in dieses Abenteuer zu stürzen.

Klar, da gab es amerikanische Modelle, die technologisch recht weit waren und mit der Ladeinfrastruktur sogar meine diesbezüglich sehr skeptische Frau überzeugt hätten. Doch das war qualitativ, ergonomisch und vom Alltagsnutzen her nicht das, was ich mir von einer neuen Beziehung erhoffte. Und dann waren da die Premium-Autobauer aus meiner Heimat, die tolle Autos bauen konnten, aber den Transfer in die automobile Zukunft heftig verpennt hatten. „Stehen geblieben“ hattest Du in Deinem Abschiedsbrief an sie geschrieben. Und zwischen einer kleinen Spaßkugel für die Stadt und irgendwie zu Elektroautos mutierten 5m-SUV´s gab es da tatsächlich nichts.

Vor weit mehr als einem Jahr erzählte mir Dein Vater dann eine Menge über Dich, was mich aufhorchen ließ: Eine Ausstattung und eine Funktionsvielfalt zumindest auf dem Level, von welchem ich in den letzten Jahren bereits auch etwas verwöhnt war. Ein Ziel von 500km, womit die ärgsten Ängste in Sachen Reichweite in den Hintergrund traten. Und nicht zuletzt eine neue Denkweise in Sachen Bedienung durch eine Kooperation mit einem Partner wie Google, statt das Rad selbst neu erfinden zu wollen. Technologisch also voll auf der Höhe der Zeit, mit einem Mobiltelefon als zentrale Schaltstelle für viele nützliche und komfortable Funktionen. Die Aussicht, notwendige Korrekturen und auch Verbesserungen „Over The Air“ zu bekommen ließen die Bedenken wegen eines anfangs dünnem Service-Netzes schwinden.

Und dann kamst Du auf die Bühne und neben all den Fakten und Daten hast Du mich fasziniert mit Deinem schlichten, unaufdringlichen Design, das hinschauen lässt, ohne zu protzen. Das alles zusammen hat mir ganz schön den Kopf verdreht. Und da tut es manchmal gut, auf die zu hören, die mahnen und dazu raten, sich vorher lieber noch die Mutter anzusehen. Und nun gab es keine Zweifel mehr, dass Du eine gute Wahl sein musst. Denn Deine Innovationsfreude und die jugendliche Forschheit gepaart mit der Erfahrung und dem Wissen Deiner Mutter, dem Anspruch, mit Dir eine Premium-Performance-Marke im Markt zu etablieren,… was sollte da schiefgehen?

Also: Auf geht´s in mein ganz persönliches Abenteuer E-Mobilität! Auch wenn ich selbst da noch viel zu lernen habe, und ganz sicher auch Du nicht perfekt und ohne jeden Makel sein wirst - das wäre ja auch langweilig.

Und dann wurde die Welt zu einer anderen als zuvor, eine Pandemie hat zu riesigen wirtschaftlichen und logistischen Schwierigkeiten geführt, und so war zunächst einmal Geduld gefragt. Da Vorfreude die schönste Freude sein kann, habe ich Dich auf einer Roadshow besucht, eine Probefahrt unternommen und mich mit vielen Gleichgesinnten in einem Club getroffen, in dem wir uns gemeinsam auf Dich gefreut haben.

Nach und nach habe ich so erfahren, dass Du, wenn ich Dich irgendwann mein Eigen nennen werde, noch nicht so perfekt sein wirst, wie man es sich bei einer Liebe auf den ersten Blick erträumen mag. Es werden wohl doch noch einige Funktionen fehlen, mit denen Dein Vater geprahlt hatte, so die Smartphone-Integration und Interaktion - und damit viele im Zusammenhang stehende Annehmlichkeiten, wie Zugangssteuerung, Vorklimatisierung, Apple Car-Play,… Einparken musst Du wohl auch noch lernen, für jedes Update geht es ab in die Werkstatt, die Garantie wurde stillschweigend von 3 auf 2 Jahre reduziert, die Zielreichweite wird wohl nicht erreicht und in Sachen Laden unterwegs werden mich Deine Eltern wohl ziemlich alleine lassen, anstatt mir für den Anfang mit einer attraktiven Kooperation zu helfen.

Hat das meiner Vorfreude einen Abbruch getan? NEIN!

Ich habe mich weiter auf Dich gefreut und Dir Deine Fehler schon im Voraus verziehen. Gemeinsam werden wir das nach und nach alles noch hinbekommen, da war ich mir sicher und der Stolz Deiner Eltern, die Versprechen Deines Vaters haben mich keine Sekunde zweifeln lassen, vor nun mehr als einem Jahr die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Gut, ab und an hätte es sehr gut getan, mal etwas von Dir oder Deinen Eltern zu hören, ein kleines Lebenszeichen und das Gefühl, dass auch Ihr euch auf mich freut. Wahrscheinlich ist das alles nur der Vorbereitung der hochprofessionellen Auslieferungen und einer Beseitigung der euch bereits bekannten Probleme geopfert worden. Denn Du solltest ja einen guten ersten Eindruck hinterlassen!

Und bis dahin habe ich mir halt die Zeit mit den Infoschreiben, Broschüren, Einladungen der heimischen Autoindustrie vertrieben und mich mit deren Werbegeschenken, wie Powerbank u.a. beschäftigt. All das konnte mich natürlich nicht bezirzen, denn bald schon würde ich täglich meine Freude mit Dir haben…

Und dann kam der Tag der Tage - gut 1,5 Jahre nachdem ich mich für Dich entschieden habe und mit so viel Vorfreude wie selten in den letzten Jahren, wenn wir uns aufgemacht haben, ein neues Auto in Empfang zu nehmen.

Und da standst Du nun: Unter einer schwarzen Abdeckhaube begrüßten uns Deine Lichtspiele und zwei sehr bemühte Polestar-Mitarbeiter haben den Vorhang gelüftet und unser Eintritt in die E-Mobilität stand in voller Pracht vor uns! Da ich in all der Zeit schon so viel über Dich gelesen habe, waren so viele Dinge auch nicht mehr zu erklären. Dass Du Dich geweigert hast, Türen und Kofferraum ohne einen Tastendruck am Schlüssel zu öffnen, haben wir Deiner Aufgeregtheit zugeschrieben und nicht dem vergessenen Kabel. Macht ja nichts. Dass Deine Eltern Dir Deine Nummernschildhalter mit schwarzem Isolierband zu neutralen Premium-Haltern gemacht haben, dass Sie Dir ein grässliches ausgefranstes Loch in die Heckschürze geschnitten haben, hatte bestimmt nur damit zu tun, dass man sich so schwer von Dir trennen konnte. Und die versprochenen Winterschuhe haben Sie Dir auch nicht mit auf den Weg gegeben. Wenigstens wurde versprochen, dass Du nicht im Dunkeln schielst - wie viele Deiner Geschwister.

Schwamm drüber, nun freuten wir uns einfach auf die offizielle und natürlich überaus feierliche Übergabe. Ein Strauß Blumen für die Dame, ein nettes Give-Away als Erinnerung für den stolzen Besitzer und Erinnerungsfotos von der Übergabe der schicken Mappe mit den Papieren und des Autoschlüssels… Alles nicht so ungewöhnlich und aufwändig - aber doch immer wieder ein besonderer Moment.

Dann habt Ihr mir aber gezeigt, dass ich noch nicht so recht verstanden habe, was wirklich hipp ist und heutzutage eine Premium-Marke ausmacht: Eine zerknüllte Plastiktüte mit den Fahrzeugpapieren und 2 Schlüsseln - so zeigt sich, dass man nicht in der Vergangenheit stehen geblieben ist. Und statt all dem überflüssigen Schnickschnack der alten Welt, wie Blumen, Sekt und Fotos von stolzen Adoptiv-Eltern haben wir ein, die steuerlichen Vorgaben einwandfrei erfüllendes, Parkticket zur Erinnerung erhalten, für welches wir gerade einmal 6€ in den Automaten des Autohaus-Parkhauses einwerfen mussten.

Auf dem Heimweg haben wir uns dann Sushi und eine schöne Flasche Wein besorgt und damit Deine Ankunft bei uns daheim gefeiert. Am nächsten Tag habe ich Dir zur Feier des Tages bei einem amerikanischen Versandhändler eine Mappe für die Zulassungsbescheinigung und die Kurzanleitung bestellt.

Die nächsten Tage waren natürlich aufregend und wir haben uns recht schnell kennengelernt. Die erste Ausfahrt zum Kaffeetrinken ins Grüne war dann aber etwas zu viel für Dich: Zuerst kam wohl aus Aufregung Dein Schielen zurück, was die uns entgegenkommenden in der Vergangenheit stehengebliebenen Automobilisten zu freundlichen Grüßen per Lichthupe und Winken veranlasste. Dann ist Dein Bremssystem nach dem ersten Frühstück an einer Ladesäule ausgefallen und auch das Lane Keeping und das ESC hatten keine Lust mehr. Wahrscheinlich war das alles nur zu aufregend für euch. Nachdem die Gelben Engel mit Dir so gar nichts anfangen konnten, sind wir am nächsten Tag in die Klinik, wo zunächst eine Augenkorrektur vorgenommen wurde und wegen der anderen Dinge um Hilfe in Deiner Heimat angefragt und um Geduld gebeten wurde.

Seitdem aber hast Du Dich nach und nach besser eingelebt, als viele Deiner Geschwister. Von denen hört man, dass sie die Nacht nicht durchschlafen und unvermittelt anfangen so laut zu schreien, dass die ganze Nachbarschaft davon wach wird. Chronische Atemnot scheint in Deiner Familie auch recht ausgeprägt und eine Reihe von Euch sind einfach stehen geblieben, weil Ihnen die 12V-Energie ausgegangen zu sein scheint oder sie verlieren regelmäßig die Verbindung zur Außenwelt, was nach dem Fahrzeug auch den Fahrer einsam und orientierungslos macht.

Was bin ich froh, das meiste davon bislang selbst nicht erlebt zu haben, und dass wir zwei uns gut verstehen.

Trotzdem habe ich mich entschieden, Dir noch ein wenig Eingewöhnung zu gönnen. Den geplanten Urlaub im Osten haben wir mit einem altmodischen Verbrenner bestritten - nur falls Du Dich dort nicht wohlfühlen solltest und um Dir die Rückfahrt auf der Ladefläche eines der lustig gelben Autos mit Blinklicht zu ersparen. Ein wenig natürlich auch, weil meine Liebste sich geweigert hatte, mit diesen Unsicherheiten hunderte Kilometer ins Polestar-Niemandsland zu fahren.

Lieber Polestar,

Nein, wir haben uns nicht auseinandergelebt und Nein, wir werden nicht getrennte Wege gehen, Dazu habe ich mich viel zu sehr auf Dich gefreut und dazu bin ich viel zu sehr davon überzeugt, dass wir in den nächsten zwei oder 3 Jahren eine tolle Zeit miteinander haben werden.

Aber was ist eigentlich mit Deinen Eltern los? Denen scheinen wir beide ziemlich egal zu sein. Irgendwann haben Sie uns eine Mail geschrieben und darin berichtet, dass einige Dinge wohl noch etwas Zeit brauchen. Darüber hätten wir uns in Anbetracht der Funkstille zuvor wohl schon freuen sollen. Denn zwischen und auch in den Zeilen liest man, wir sollten doch zufrieden sein, schließlich habe man Dich bekommen und dass Du am Anfang nicht komplett und fehlerfrei bist, hätte man ja wissen können. Und nun freue man sich erstmal auf das nächste Baby, welches noch schöner und einzigartig werden wird.

Forschheit und Selbstbewusstsein mag ja richtig sein, um sich als neue Marke im Haifischbecken Autoindustrie bemerkbar zu machen - aber dabei solltet ihr nicht vergessen, das Versprochene auch zu liefern und dem eigenen Anspruch durch alle Stufen gerecht zu werden. Dazu passen keine groben Fehler, die das Vertrauen in Marke und Fahrzeug schwinden lassen, kein stillschweigendes Vorenthalten zugesagter Funktionalitäten oder eine - allen Beteuerungen zum Trotz - kaum wahrnehmbare Wertschätzung des Kunden. Ein Auto, was elektrisch fahren kann und ganz ordentlich verarbeitet ist, werden bald auch viele andere anbieten - allen voran vermutlich die Mutter aus Schweden. Dann darf Design und Marketing nicht mehr das Einzige sein, was Polestar zu etwas Besonderem macht.

Denn das wäre so zu tun, als sei alles beim Alten. Und dann müssten vielleicht auch wir bald wieder getrennte Wege gehen.

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Ich liebe solche Geschichten…schön geschrieben und so bekomme ich noch etwas mehr Vorfreude auf meinen Snow-PS-Ball

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Das ist der allerbeste Beitrag jemals in diesem Forum.
Vielen Dank!

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Ein sehr geistreicher Beitrag. Liebe und Kritik perfekt verpackt :+1:

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Du hast uns voll aus der Seele gesprochen. Besser kann man es gar nicht ausdrücken, hoffentlich kommt der Liebesbrief auch bei den Eltern an.

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Veröffentlichen, so wie den originalen Abschiedsbrief, vlt. kommt er dann an.

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Sehr gut geschrieben mit einem Inhalt, der alle (oder fast alle) Defizite beinhaltet.
Ich dachte zuerst, es sei der Brief, den wir an Herrn Ingenlath verfassen werden… :rofl:

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Wäre nicht die schlechteste Idee

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Danke @anon20072543, du drückst es genau aus!!! Ab damit nach Köln und Schweden.

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Nun war ich schon auf dem Weg in den Alltag: Neues schönes Auto, ok. Was ich brauche, funktioniert ja alles. Die Gimmiks, die manchmal nicht funktionieren und dann wieder doch - sind Pippifax. Also, dieses Auto bringt mich auch von A nach B.
Jedenfalls hat es mich noch nicht erwischt und nach meiner Hochrechnung - sagen wir mal 3 bis 4000 Stück sind jetzt auf den Straßen - sind die uns bekannten Ausfälle doch marginal. Oder etwa nicht? Keiner weiß es genau.
Nun Dein Brief. Mein Glückwunsch! Jetzt kommt mir alles wieder hoch. Natürlich hast Du recht. Wir haben einiges ertragen müssen und nur unser freiwillig gespendeter Vorschuß hat uns darüber hinweggetragen, dass nicht alles so ist, wie versprochen und vor allem - wie wir es erwartet haben.
Genau das mit der Erwartungshaltung ist eine verzwickte Sache. Damit hat jeder von uns auf eigene Weise zu kämpfen.
Dein Brief muß unbedingt an den CEO geschickt werden - und zwar offiziell im Namen des Clubs.
Ich bin unbedingt dafür.

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Genau, DEN Brief würde ich sofort unterschreiben :+1:
:polestar_thunder:

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Der Brief ist in Form und Inhalt toll !!!
Aber als Schreiben für „unseren Zweck“ in meinen Augen einen guten Tick zu langatmig…

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Falsch!
Wir müssen immer noch so einiges ertragen!..

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…und doch zu ironisch.

Ob den Herr Thomas Ingenlath so wie er ist, ernst nehmen würde?

Nun ja, eher nicht…

EllJot, das ist ein wunderbares, ideenreiches, originelles Statement.
Polestar leuchtet schöpferisch und zeigt uns den Weg in die Zukunft. Und gibt uns die Hoffnung auf Momente, die wie Poesie für die Augen oder die Ohren erscheinen.

Tha! Das ist doch die Blaupause für unseren Brief nach Schweden.
Wenn @anon20072543 einverstanden ist… Strg+C Strg+V und ab damit :smiley:

Wäre nur noch die Frage wie wir die Unterschriften von allen drunter bekommen :slight_smile:

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Evtl. digital signature?
Müssten wir ja alle mittlerweile kennen/können! :sweat_smile:

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Das sind halt sage und schreibe 4 DINA4-Seiten…

Absolut richtig!
Aber ich denke, Thomas Ingenlath wird sich nicht die Zeit nehmen, so einen langen Brief zu lesen. Bei vielen „schwer beschäftigten“ Menschen liegt die „Schmerzgrenze“ bei einer A4-Seite …

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Ich finde ihn so gelungen, dass für mich das 4-Seiten-Argument in den Hintergrund tritt.
Wüsste echt nicht wo kürzen, ohne den charmanten Ton zu zerstören oder die grundsätzliche Nachricht zu verfälschen.

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