So, jetzt hab ich dann auch mal ein paar Tausend Kilometer im Ioniq 6 hinter mir und will meine Erfahrungen hier mal zum Besten geben.
Das Fazit zuerst:
Der Ioniq 6 ist das bessere Elektroauto. So einfach ist’s und da gibt’s wenig dran zu rütteln. Aber, nachdem jetzt bestimmt schon ein paar nach unten gescrollt und mich beschimpft haben: Der PS2 fühlt sich nach mehr „autohaftem“ Auto an, ist emotionaler, wenn das Sinn ergibt. Würde man Autos rein logisch kaufen, dann wäre es immer der Ioniq - das tut man aber nicht. Und an manchen Stellen treibt Hyundai den Fahrer einfach in den bing Wahnsinn bong.
Was wird verglichen:
Ioniq 6 AWD, MJ 2023, TECHNIQ (Software 11/23) vs. PS2 MJ 2023, Pilot Lite, LRSM (Software 3.0.3)
Verbrauch:
Auf meiner Haus- und Hof-Langstrecke liegt der Verbrauch des Ioniq bei fast 20% weniger. Und nein, ich habe nicht den Winter mit dem Sommer verglichen. Ab dem MY24 ist der PS2 ja durchaus effizienter geworden, ich vermute aber, dass das bei Weitem nicht ausreicht. Gerade auf der Autobahn ist der cW-Wert des Ioniq so viel besser, dass da Optimierungen am Antriebsstrang nicht den Ausschlag geben. Und wohlgemerkt: Ich vergleiche hier gerade den AWD mit dem SM. Der Verbrauch lag bei allen Autobahnfahrten unter 17,5kWh/100km bei max. ~145km/h. Bei Tempolimit 120km/h und fließendem Verkehr stand da bei idealen Bedingungen eine 15 vor dem Komma.
Assistenzsysteme:
Der ACC des Ioniq hält das Tempo. Sorry, der musste sein. Die Autobahn-Assistenten des Ioniq sind mMn deutlich besser als die des PS2. Da wird die Spur gehalten ohne ständiges Korrigieren, das Abbremsen bei ACC ist viel (vielvielviel) weicher, es gibt „eigenständiges“ Spurwechseln (mit ein wenig Geduld, wie bei fast allen Herstellern) durch Blinker setzen. Der Spurhalte-Assi hält Baustellen nicht für einen Grund, flugs in die Leitplanke zu scheppern oder sonstige interessanten Lenkmanöver. Einzig auf sehr engen Landstraßen hat er einen Hang zum übervorsichtigen korrigieren, aber dann auch immer im Rahmen und nicht ruckartig. Phantombremsungen im Stadtverkehr hatte ich noch nicht. Die Schildererkennung ist deutlich besser als im PS2 und wird vor allem nicht ständig durch Google-Phantasie-Daten mit „90 innerorts in der 30er-Zoine“ überschrieben. Aber: Die Schildererkennung ist momentan bei mir aus, denn: bing, bing, bing, bing. Bei einem kM/h über dem Tempolimit. Und das Abschalten des Warntones geht momentan nur, indem man das gesamte System abschaltet. Wer das bei Hyundai für eine gute Idee hielt, weiß ich nicht. Es gibt seit August für alle Hyundais ein Update, dass auf einen einzelnen Tastendruck am Lenkrad das System „stumm“ schaltet, aber die Schildererkennung aktiv lässt - nur noch nicht für den Ioniq 6. Und leider ist nicht nur das ISA etwas „kommunikativ“, das gilt für jeden Assistenten im Auto. Setzt man den Blinker bei aktivem Totwinkel-Assistent und einem Auto auf der Nebenspur, ertönt ein Warnhinweis. Dummerweise ist das auf vollen Autobahnen ja genau das, was man macht, um dem nachfolgenden Verkehr die Absicht anzuzeigen die Spur zu wechseln. Der normale Spurhalte-Assi piept, wenn man seiner Meinung nach nicht der „richtigen“ Spur folgt. Schlüssel im Auto und ausgetiegen + Tür zu, pieeeep - macht man ja mal z.B. an der Ladesäule. Das Auto ist bei allen Dingen einfach sehr „mitteilungsbedürftig“ und das ist und bleibt der größte Kritikpunkt, den ja so ziemlich jeder Tester schon angesprochen hat. Und das kann, je nach Tageslaune, auch wirklich nerven.
Infotainment & System:
Beim Infotainment hat der PS2 klar die Nase vorn. In der Mitte klebt halt wirklich ein „Tablet“, man kann Apps runter laden und das ganze Look & Feel kommt einem sehr bekannt vor, wenn man ein Smartphone in der Hosentasche hat. Das UI des Ioniq ist sehr „alter Autobauer“, die Menüs z.T. super verschachtelt und teilweise unklar, wo sich was befindet. Im PS2 hat man die Chance einfach einzusteigen und halbwegs mit den Einstellmöglichkeiten klar zu kommen. Das geht im Ioniq 6 nicht, da muss man entweder Zeit oder die Anleitung mitbringen (vielen Dank an dieser Stelle an FINN, die eine schwedische Ausgabe beigelegt haben ). Apps installiert man gar nicht und will man Medien wiedergeben, bleibt eigentlich nur Car Play/Android Auto oder eben Bluetooth. Man kann ganz toll auch noch USB-Sticks anschließen und davon sogar Videos wiedergeben, ganz wie 2010. Dafür hat der Hyundai zig Einstellungen mehr, von Auswahl des Themes für die Displays bis hin zur Stärke der Beschleunigung des ACC. Manche davon sind auch sinnvoll, andere eben Spielerei. Die Navigation funktioniert gut, wenn die Optik auch hier etwas altbacken ist, Stauinfos sind genauso schnell da wie bei GM. Updates gibt’s wohl nur ca. 2mal im Jahr und - da Navi der „alten Bauart“ - damit werden auch die Karten aktualisiert. Ladestationen & Co. und damit auch die Ladeplanung kommen aber „von online“, man muss da also nicht 6 Monate warten, bis ein Ladepark drin ist.
App:
Der Funktionsumfang der Hyundai-App ist um Welten größer. Ich weiß nicht, ob ich jemals nachschauen werde, wie lange, wann, mit welcher Geschwindigkeit und welchem Verbrauch ich am 07.09. zwischen 13:51 und 14:12 Uhr gefahren bin, aber ich kann’s. Alles öffnen, schließen, checken - sowieso. Alle möglichen Dinge im Fahrerprofil einstellen, restliche Ladezeit (nicht auf Stunden gerundet) einsehen, geht. Bei Ladeabbruch eine Push-Mitteilung, 10 Minuten vor Ladeabschluss, falls gewünscht, auch. Und ob eine Aktion erfolgreich war, wird auch quittiert. Man denkt also nicht, dass man das Ladelimit eingestellt hat - man weiß es. Das ist aber auch nötig, weil zwischen Buttondruck und Umsetzung auch mal 20-30 Sekunden vergehen, das wäre so mein Hauptkritikpunkt. Und dass die App sich eben auch ein wenig anfühlt, als wäre sie von einem länger existierenden Autobauer designed worden.
Laden:
Die Ladeplanung ist - wie beim PS2 - eher auf der konservativen Seite. Was etwas hirnrissig ist: Ich bekomme im Navi angezeigt, dass ich am nächsten Ladestopp auf 63% laden soll, sobald ich aber da bin, ist diese Info weg und er schlägt mir vor, bis zum eingestellten Limit zu laden. Das wird wohl auch beim nächsten Update beseitigt, ist es aber noch nicht. Die Ladesäulenfilter gehen nach Anbieter der Ladesäule und nicht nach Zahlungskarten-Anbieter, d.h. EnBW filtert auch wirklich nach EnBW-Säulen. Die Geschwindigkeit?
'nuff said.
Jetzt kommt so ein bissl Zeug, von dem ich zwar meine Anmutung schildern kann, aber eigentlich keine Ahnung habe:
Innenraum & Co:
Hier sind beide auf ähnliche Art und Weise fleckanfällig, was beim PS2 nach Stoff aussah ist beim Ioniq 6 ein Kunststoff. Beides wirkt modern, ich würde sagen, dass der PS2 wertiger wirkte. Die Sitze im Ioniq 6 fühlen sich für mich nach mehr Seitenhalt an, da Leder auch wertiger und, weil’s eine Sitzbelüftung gibt, im Sommer wesentlich erträglicher. Hinten ist un-fass-bar viel Platz an den Knien, nach oben hin wird’s wegen der Form ab ~185cm vielleicht ein wenig eng. Ich bin ein Sitzzwerg, da passt’s noch. Es ist - würde ich sagen - leiser im Innenraum als im PS2. Der Kofferraum ist - an sich - relativ groß, aber: flach. Und die Ladekante zwingt manchen Bergsteiger, die Klettersteigausrüstung rauszuholen.
Fahrgedöhns:
Das Auto fährt sich gut. Das sollen Autotester beurteilen, da kann ich wenig fundiertes zu sagen. Mir war der PS2 immer einen Ticken zu hart in der Federung, aber da sind die Geschmäcker verschieden. Genug Leistung hat er - für meinen Geschmack - eh. Ich bin niemand, der die Kurven komplett ausreizt oder sonstwie das Auto an das Limit bringt. Sorry, da schaut am Besten ein fundiertes Video.
Und da bin ich auch „schon“ am Ende oder: bei der „Faziterweiterung“ des obigen Fazits. Der Ioniq 6 ist in all dem, was man so landläufig als Kennzahlen in den Raum wirft, das bessere Elektroauto. Die Ladezeiten sind wahnsinnig kurz, die Reichweite deutlich höher als beim PS2, die Assistenzsysteme besser. Wenn Hyundai mit der „Ent-piep-ification“ weiter macht, geht auch der Nervfaktor enorm zurück und die besseren Systeme sind dann auch besser nutzbar und nicht zum Teil abgeschaltet. Ich hatte bis jetzt keine Abstürze, keinen Empfangsverlust beim Grenzübertritt, keine Resets.
Was mir nicht passieren wird: Ich schaue aus dem Fenster und freue mich über das nice Auto vor der Tür. Der Ioniq hat seine Blickwinkel, in denen er echt gut aussieht. Aus anderen Winkeln ist er - naja - gewöhnungsbedürftig. Der PS2 ist - für mich vor allem noch mit dem alten Grill - ein echt schönes Auto, aus jedem Winkel, irgendwie ein wenig „Muscle Car“. Und das Bedienkonzept im Auto ist wesentlich moderner. Aber auch abgesehen von diversen Macken und Zickereien, die man vielleicht mit Design und UI/UX ausbügeln kann, sprechen echt ein paar harte Fakten gegen ihn.
Ich hab’ bestimmt ein paar Sachen vergessen, die den ein oder anderen interessieren - dann gerne fragen.